In diesem Artikel
Während meiner Zeit als Kreißsaal Hebamme durfte ich viele wunderbare Menschen kennenlernen. Einer davon war eine Gebärende, die mich mit den Worten begrüßte: „Ich werde mein Kind singend und tanzend zur Welt bringen!“ Kurze Zeit später hallten ganze Arien auf a-aa-A-AA-A-aa-a-ahhhh durch die Räume und durchbrachen die Stille der Nacht. Mit jeder kräftiger werdenden Wehe wurde auch ihre Stimme kräftiger und die Tanz-Bewegungen intensiver. Nach einiger Zeit kam dann ein wundervolles Menschenkind zur Welt – mit einer ebenfalls recht kräftigen Stimme… Was genau die Wirkung dieser singenden Wehenverarbeitungs-Methode ausmacht und was dies mit dem Wehen veratmen und einer Atemtechnik für die Geburt zu tun hat, erfahren Sie im folgenden Text.
Warum ist die Atmung unter der Geburt so wichtig?
Bei jeder Wehe zieht sich die Gebärmutter zusammen. Die Muskulatur wird fest und auch die Blutgefäße, die das Baby versorgen, werden ein klein wenig komprimiert. Eine korrekte und effektive Atmung unter der Geburt ist deshalb sehr wichtig, um Mutter und Kind trotzdem mit dem wichtigen Sauerstoff zu versorgen. Folgende positive Eigenschaften werden damit erreicht:
- Effektive Sauerstoffversorgung für Mutter und Baby unter anstrengender, auch länger dauernder Wehentätigkeit
- Schmerzlinderung durch Ausschüttung körpereigener schmerzbetäubender Hormone – auch im Fruchtwasser vorhanden und dem Kind dienlich (im knöchernen Becken kann es schon recht eng werden für das Kleine)
- Konzentration auf die Atmung lenkt vom Wehenschmerz ab – weniger Schmerzempfinden
- Ein bestimmter Atemrhythmus sorgt für ein Kontrollgefühl – weniger Angst, keine Hyperventilation
- Bessere Entspannung mit einer langen Ausatmung – weichere Geburtswege
- Beim Tönen, besonders auf A-Laute, entspannt sich auch der Muttermund und der Beckenboden – schnellere Geburt
Teufelskreis Angst-Spannung-Schmerz
Viele Frauen haben Ängste bezüglich ihrer zu erwartenden Geburt. Doch was passiert, wenn Sie diesen Ängsten keine Beachtung schenken?
Angst erzeugt eine hohe Muskelspannung. Der Mensch ist sozusagen sprungbereit, die Gliedmaßen, Nacken, Schultern, Becken sind angespannt. Dadurch wird auch das Gewebe der Geburtswege fest. Die Wehen kommen aber trotzdem (unwillkürlich) und wollen ihre Arbeit verrichten (Muttermunds-Eröffnung und Kind durch die Geburtswege schieben). Wenn die Frau jedoch angespannt ist wie ein Flitzebogen, benötigen auch die Wehen mehr Kraft und längere Zeit, sodass diese dann natürlich auch entsprechend schmerzhafter empfunden werden als notwendig. Diese Schmerzen geben der Frau das Gefühl, alles nicht bewältigen zu können. Sie hat vor jeder weiteren Wehe immer größere Angst, baut noch mehr Spannung auf und empfindet die Wehen noch schmerzhafter. Dies ist der sogenannte Angst-Spannungs-Schmerz-Kreislauf. Die Geburt wird durch diesen Zustand sehr behindert und eher als Katastrophe empfunden.
Aber keine Angst, an mehreren Stellen können Interventionen zu einem Durchbrechen dieses unschönen Kreislaufes führen:
- Entspannung durch Angstminderung mit Hilfe von Aufklärung, Kursen, Informationen
- Entspannung durch tiefe Bauchatmung
- Schmerzlinderung durch Entspannung
Wehen veratmen – Bedeutung
Neben der lebenswichtigen Versorgung mit Sauerstoff können mit Hilfe der Atmung auch Körperfunktionen gesteuert werden. Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach einem anstrengenden Arbeitstag oder auch Freizeitereignis ziemlich erschöpft nach Hause. Sie legen Ihre Taschen ab, streifen die Schuhe von den Füßen und landen mit einem tiefen Entspannungsstöhnen auf Ihrem Sofa oder Ihrem Lieblingssessel. Und vielleicht fühlen Sie auch noch die warmen streichelnden Hände Ihres Partners an Ihren Schultern… Aahhhhh, herrlich, endlich Feierabend… Dieses Aahhhhh bewirkt eine Lockerung der Muskeln in Gesicht und Körper und ebenso ein Abschalten von stressigen Tages-Eindrücken. Es tritt eine wundervolle Entspannung ein. Dieses Entspannen durch eine intensive verlängerte Ausatmung halten wir jetzt ganz fest, genau dies benötigen wir auch für die Atemtechniken und das Wehen veratmen unter der Geburt.
Atemtechniken
Das wichtigste ist in allen Fällen, dass die Ausatmung deutlich länger ist, als die Einatmung. Eingeatmet wird durch die Nase, dabei hebt sich der Bauch und Ausgeatmet wird langsam durch den geöffneten Mund. Die meisten Frauen finden schnell ihren eigenen Rhythmus beim Wehen veratmen. Falls nicht, hilft vielleicht die Zählmethode.
Die Zählmethode
Manchen Frauen hilft das Zählen. Sie können sich so besser fokussieren. Beispielsweise zählt man beim Einatmen bis 4, beim Ausatmen bis 8. Ähnlich dem Zählen können auch Worte wie ein bejahendes Mantra gedacht werden:
Einatmen | Ausatmen |
Baby | komm |
Wehe | ja |
werde | weich |
ich | schaffe das |
und ähnliche Dinge.
Bauchatmung
Eine Bauchatmung ist effektiver als eine Brustatmung. Dieser Spruch: „Bauch rein, Brust raus“ ist für eine Geburt die ungünstigste Variante. Bei der Bauchatmung landet zwar die Einatemluft auch nur in der Lunge, aber dabei verschiebt sich das Zwerchfell nach unten. Dies führt zu einer Erweiterung des Bauchraumes einschließlich der Blutgefäße und zu einer Vergrößerung des Lungenvolumens und damit zu einem größeren Sauerstoffangebot, der bei einer Geburt notwendig wird, denn die Geburt ist eine etwas länger dauernde monotone körperliche Anstrengung.
So könne Sie üben:
Legen Sie beide Hände in Nabelhöhe auf Ihr Baby-Bäuchlein, sodass sich die Fingerspitzen gerade so berühren. Wenn Sie jetzt in den Bauch einatmen, wölbt sich die Bauchdecke nach vorn und Ihre Fingerspitzen weichen auseinander. Beim Ausatmen bewegen sich die Fingerspitzen wieder in ihre Ausgangsposition. Und bitte nicht beunruhigt sein: Auch ohne Wehen bekommt das Baby viel Sauerstoff bei der Bauchatmung, was dazu führt, dass es während der Übungseinheit anfängt, sich mitunter recht heftig zu bewegen. Übrigens ist es von großem Vorteil, wenn Sie die Bauchatmung wirklich täglich üben. Sie geht Ihnen dann schon vor der Geburt sprichwörtlich ins Blut über, dass heißt, sie wird automatisiert. Dies spart Energie unter der Geburt.
Das Tönen
Eine Grundregel der Geburt lautet: Offener, gelockerter Mund = offener gelockerter Muttermund. Das bedeutet, wenn eine Frau sich traut, während der Wehen veratmen laut zu werden und den Mund geöffnet und entspannt hat, öffnet sich auch der Muttermund und der Beckenboden wird weich, beides extreme Vorteile. Unkontrolliertes Schreien jedoch ist kontraproduktiv, weil die Sauerstoffversorgung eingeschränkt ist. Deshalb empfehlen Hebammen das Tönen. Beim Ausatmen öffnen Sie den Mund geöffnet und ein Vokal-Laut ertönt. Am besten eignet sich das Aahhh, da sich der Kiefer in dieser Position gut lockert. Auch Uuhh und Eehhh eignen sich, Iihhh und Oohhh eher weniger, weil der Mund in diesen Positionen nicht vollständig gelöst ist, die Lippen sind angespannt.
Hechelatmung
Auf die Hechelatmung möchte in diesem Artikel nur kurz eingehen, denn sie ist veraltet und macht vielen Frauen Angst. Mit dem Hechelatmen oder auch einfach dem kurzen Atmen kann die Frau für eine gewisse Zeit den reflektorischen Pressdrang in der Austreibungsperiode unterdrücken. Die Hebamme begleitet und unterstützt Sie und leitet zu einer Atmung an, die zu Ihnen und dem Geburtsstadium passt. Heutzutage wird oft die Bauchatmung bis zum Schluss beibehalten und während des Pressdranges einfach mit dem Baby nach unten geschoben. Erst während der Kindsgeburt kann ein kurzes Atmen notwendig werden, um den Damm zu entlasten und ihn vor Verletzungen besser schützen zu können. Die Hebamme leitet Sie in dieser Phase auf jeden Fall an, auch Sie werden kurzes Atmen schaffen, ähnlich einer Lokomotive. Sie stoßen Ihre Ausatemluft einfach in Form kurzer ff – Laute aus.
Ein Wort zu den Wehenpausen
Nach jeder Wehe folgt eine Pause, die Sie möglichst optimal zur Regeneration und Erholung nutzen sollten. Dazu wird die eben durchgemachte Wehe „verabschiedet“: „Mama, das hast Du gut gemacht, Baby, das hast Du auch gut gemacht.“ Es wird ein tiefer Atemzug genommen, um nach der Anstrengung viel Sauerstoff zu tanken, dann die Luft ausgestoßen ähnlich dem Entspannungsseufzer nach einem anstrengenden Arbeitstag. Gleichzeitig lösen Sie die Muskulatur: verkrampfte Schultern, feste Handgriffe, zitternde Oberschenkel und angespannter Beckenboden und Po – einfach alles ablegen auf die Unterlage, das Kissen, in die Arme des Partners… Ruhen Sie sich aus, laufen Sie ein paar Schritte (Beckenlockerung), gehen Sie zur Toilette (leere Harnblase ist sehr wichtig) und trinken Sie ausreichend zwischendurch.
Auch Entspannung kann man üben

Mit der Progressiven Muskelentspannung können Sie das bewusste Lösen von angespannten Muskelgruppen üben. Für die Geburt sind das vor allem die Schultern, die Beine, der Po und der Beckenboden.
Mit Hilfe der Imagination wird den Wehen ein positives Bild zugeordnet zum Beispiel türkis-blaue Meereswellen, die kommen und gehen oder dem Beckenboden, der sich bei jedem Ausatmen wie eine wunderschöne Blüte öffnet und das Baby leicht hindurchlässt.
Mit Musik verbinden viele Menschen wundervolle Ereignisse in ihrem Leben. Sie entspannt, schafft eine positive Grundstimmung und regt zu Tanzbewegungen an. Das Baby wird so mit gezielten Beckenbewegungen locker durch den Geburtskanal geschaukelt.
Wie kann Sie ihr Partner/in während der Geburtsatmung unterstützen?
- Hand auf den Bauch legen – Signal zum Bauchatmen
- Mitatmen – Rhythmus kann besser beibehalten werden
- Auf Entspannungsatemzug nach der Wehe hinweisen
- Viel Loben, auch wenn die Frau mal aus „dem Takt kommt“
Falls Sie sich mehr praktische Übungen zum Thema Wehen veratmen und Entspannung wünschen, können Sie auch gern Kurse vor Ort besuchen. Als Geburtsvorbereitung besonders bezüglich Atmung und Körpergefühl sind geeignet:
- Psychosomatischer Geburtsvorbereitungskurse
- Yoga-Kurse
- Hypno-Birthing-Kurse
- Bauchtanzkurse
Nun verstehen Sie, warum die singende und tanzende Gebärende aus meinem Beispiel alles richtig gemacht hat und ihre Geburt als selbstbestimmt und schön empfunden hat. Ich wünsche jeder Schwangeren eine solch positive Erfahrung!