In diesem Artikel
Hausmittel sind meist von der wissenschaftlichen Medizin als leicht anrüchig eingestuft, obwohl man heute im Zeitalter der Resistenzentwicklung schon manchmal wieder auf bewährtes Altes zurückgreift. Deshalb stellen wir Möglichkeiten vor, die Frau eben zu Hause erfolgreich anwenden kann, wenn sie die Milchbildung anregen will. Der Erfahrungshintergrund vieler betreuter Frauen, die Stillprobleme hatten, ist bei der Zusammenstellung des Artikels hilfreich gewesen.
Das Problem
Claudia hat vor zwei Wochen ihren Sohn zur Welt gebracht. Beim Hausbesuch macht sie mir einen niedergedrückten Eindruck. Auf meine Frage nach dem Warum, rollen ihr die Tränen über die Wangen. „Ich werde wohl bald zufüttern müssen, meine Milch reicht nicht“, schluchzt sie. Ich. „Woran merkst du das?“ „Meine Brust ist total weich, und sie tropft auch nicht mehr, wenn Theo weint.“
Nachdem ich ihr erklärt habe, dass die Brust jetzt nur noch kurz vor dem Stillen straffer sein darf, weil sonst womöglich ein Milchstau droht, beruhigt sie sich. „Und was ist das mit dem Nicht-mehr-Tropfen? Ich denke, das ist ein Zeichen für den Milchspendereflex?“ „Dafür gibt es auch noch andere Zeichen, z.B. wenn du so ein Gefühl wie kribbelnde Ameisen in der Brust hast oder du plötzlich Durst bekommst. Dass es nicht mehr tropft, hängt damit zusammen, dass die Muskelzellen in der Brustwarze inzwischen trainiert sind, die Milchgänge zu verschließen, wenn du nicht stillst“, antworte ich.
Theo hat sich inzwischen fröhlich strampelnd bewegt und macht den Eindruck eines gesunden Babys. Der Blick auf die Waage bestätigt das. Mit 175g Gewichtszunahme seit der vergangenen Woche ist alles in bester Ordnung.
Die Lösung
Muss die Milchbildung wirklich angeregt werden, gibt es verschiedene „Hausmittel“. Längst nicht alle davon sind durch Wirksamkeits-Studien belegt. Erfahrungswerte sind aber häufig im Leben das, was die Wissenschaft (noch) nicht belegen kann.
Milchbildung anregen – effektives Stillmanagement
Dafür benötigt die Mutter im dringenden Fall höchstens die Hilfe einer Stillexpertin.
Hier kommen ein paar kurze Erklärungen zu den einzelnen Begriffen:
Direkter Hautkontakt
heißt, dass die Mutter mit nacktem Oberkörper – also Brust frei – mit ihrem nackten Baby (bis auf die Windel) kuschelt. Wange an Wange reicht nicht aus! Durch den Hautkontakt in diesen Bereichen werden die Oxytocinrezeptoren aktiviert. Durch einen Rückkopplungsmechanismus zum Gehirn wird Oxytocin in den Kreislauf ausgeschüttet. So gelangt es auch an die Milchdrüsen in der Brust und aktiviert dort den Milchspendereflex.
Wechselstillen
heißt, dass die Mutter ihr Baby bei einer Stillmahlzeit erst an die eine, dann an die andere Brust anlegt und mehrfach wechselt. Immer dann, wenn das Baby in seinen Sauganstrengungen nachlässt, wird es sanft von der Brust gelöst: kleinen Finger in den Mundwinkel legen und sacht auf die Zunge drücken. Dann kommt die andere Brust an die Reihe. Das Ende der „Vorstellung“ ist erreicht, wenn das Baby seinen Kopf abwendet oder den Mund verschließt. Durch eine Rückkopplung ins Gehirn wird dort beim Wechselstillen gemeldet, dass die Muttermilch nicht reicht und mehr gebildet werden muss.
Zusätzlich pumpen
heißt, dass die Mutter, wenn die ersten beiden Maßnahmen nichts bewirkt haben sollten – was SEHR unwahrscheinlich ist – zusätzlich eine gute Milchpumpe (z.B. von Medela) nach dem Stillen einsetzt. Die ist bitte nicht bis zum Saug-Maximum einzustellen, sondern nur so, dass das Pumpen nicht schmerzt. Bitte trinken Sie vor dem Start ein Glass Flüssigkeit! Dadurch wird der Milchfluss besser angeregt. Auch wenn keine Milch kommt, pumpen Sie bitte ca. 5 min. an jeder Brust zur Anregung der Milchbildung. Das ist so, als ob das Baby saugt, wenn die Brust langsam entleert wird.
Unterschiedliche Stillpositionen
heißt, dass die Mutter ihr Baby während des Stillen unterschiedlich an der Brust trinken lässt: im Arm, in der Rückenlage, auf ihrem Oberkörper gegen die Schwerkraft. Es kann sein, dass Baby erst einmal wegen einer ungewohnten Position protestiert, aber das gibt sich in der Regel schnell. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass unterschiedliche Areale in der Brust geleert werden. Erst dann gibt es Nachschub an Muttermilch, weil die Brust auf die Nachfrage mit ihrem Angebot reagiert!
Stillabstände verkürzen
heißt, dass die Mutter durch viel Körperkontakt ihr Baby neugierig auf die Brust macht und so in kürzeren Abständen, als sonst gewöhnt, stillt.
Brustmassage
Oft bewährt sich schon ein einfaches Einreiben (Brustwarze aussparen!) mit Stillöl aus der Bahnhof-Apotheke in Kempten. Das ist mein persönlicher Favorit, mit dem ich viele gute Erfahrungen gemacht habe.
Die Brust schütteln, wäre zwar keine Massage, aber ein guter Tipp. Die Mutter legt beide Hände unter ihre Brüste, beugt sich ein wenig nach vorn und schüttelt leicht zur Auflockerung des Gewebes.
Alle anderen möglichen Massageformen lässt sich die Mutter von einer Stillexpertin zeigen und übt gemeinsam mit ihr.
Ernährung
Je nach kulturellem Hintergrund, gibt es überall Hinweise zum Ernährungsplan einer stillenden Mutter. Was die einen dürfen, zählt bei den anderen als striktes Tabu, darf also keinesfalls gegessen oder getrunken werden. Manche Einflüsse sind im Kontext mit der traditionellen chinesischen Medizin auch bei uns inzwischen sehr salonfähig geworden.
Jetzt wird es international
Beispiele, von denen Sie vielleicht schon gehört haben, weil sie die Milchbildung anregen:
- Schokolade (Guatemala) – („Endlich darf ich“, höre ich förmlich jemand jubeln.)
- Anis und Sesam (spanischstämmige Amerikaner)
- Reis, Fischsuppe, Wurzeln (Vietnamesen, Chinesen)
- Fischsuppe (Ungarn)
- Hühnersuppe, Bier (Deutschland)
- Stilltee (lesen Sie: „Milchbildungstee: wie Sie durch Tee die Milchbildung anregen„)
- Milchkugeln (Deutschland)
Hier kommt das Rezept dafür von einer Berliner Hebammenkollegin, die es ein wenig vom Originalrezept abgewandelt hat:
- 1kg Weizen, Gerste, Hafer
- nach Belieben mischen und grob schroten
- 300g gekochter Vollkornreis
- 350g Butter
- kalt zugeben, mit 1 Glas Wasser einrühren
- 300g Honig
- evtl. 1 Tasse fein gehackte Nüsse (Hasel-, Cashewnüsse, Mandeln)
- Bällchen formen
- Täglich 2-3 Kugeln essen
Merksätze:
- Eine gesunde Misch- und Frischkost ist für die Stillzeit am günstigsten.
- Wenn Sie nicht gerade Pfefferminz oder Salbei, die abstillend wirken, dabei verwenden, gibt es keine Probleme mit der Bildung von Muttermilch
- Alles, was Ihnen schmeckt, sollten Sie mit Genuss verzehren. Der Rest ist ein interessantes Experiment!
- Viele „Verbote“ (z.B. Zwiebel, Kohl & Co.) sind eher individuelle Erfahrungen als wissenschaftlich haltbar.
- Fröhliche Stillzeit!
Quellen:
Biancuzzo, M. Stillberatung, Urban & Fischer, München, 2005
Stadelmann, I. Die Hebammensprechstunde, 11. Aufl., Eigenverlag, 2000
https://www.hebammenblog.de/rezept-stillkugeln-stilltee/