In diesem Artikel
Ein ausschließlich gestilltes Kind erhält außer Muttermilch keine anderen
Flüssigkeiten – also keine Glukoselösung, Tee, Wasser oder Formulanahrung. Diese Aussage gilt auch im Sommer bei hohen Außentemperaturen. Die Mutter stillt ihr Baby einfach öfter.
Was ist normal?
Ein Neugeborenes verliert normalerweise zwischen sieben und zehn Prozent seines Geburtsgewichts in den ersten drei bis vier Tagen nach der Geburt. Das hängt mit seiner Ausscheidung zusammen. Hat die Mutter während der Geburt eine Infusion erhalten, wird manchmal sogar die 10% Grenze überschritten. Leider sorgt das immer wieder für Fehlalarm. Es zeigt aber nur die Menge an Flüssigkeit, die die Mutter bekam und damit auch das noch ungeborene Baby über die Nabelschnur und die es jetzt wieder ausscheiden muss.
In modernen Kliniken werden die Neugeborenen erst, nachdem sie innerhalb von 24 Stunden Urin und Stuhl abgesetzt haben, gewogen. So ergibt sich ein realeres Bild. Die 10% Grenze als Verlust an Körpergewicht kommt kaum zum Tragen und hat dann meist krankhafte Ursachen.
Das ausschließlich gestillte Baby nimmt meist bereits am 4./5. Tag nach der Geburt wieder zu. Zwischen dem 8. und 10.Tag sollte es sein Geburtsgewicht erreicht haben. Die Hebamme kontrolliert die Gewichtszunahme beim Hausbesuch.
Merke: Nach dem 10.Tag zeigt das Stillkind eine normale Gewichtsentwicklung,
wenn es mindestens 150 g/ Woche zunimmt. Nach fünf Monaten hat es sein Geburtsgewicht verdoppelt, zum ersten Geburtstag verdreifacht.
Stillen – ein hochemotionales Thema
Sobald es diskutiert wird, reißen Gräben auf. Dabei gilt doch grundsätzlich, dass jede/r dazu eine persönliche Meinung vertreten und auch äußern darf, ohne sofort mit faulen Tomaten beschossen zu werden. Wie bei jedem anderen „heißen“ Thema gibt es auch hier Gegner und Befürworter.
Die einen meinen, dass die Entscheidung, ihr Baby zu stillen, allein der Mutter zusteht. Andere gestehen dem Partner noch ein gewisses Mitspracherecht zu. Mütter und Schwiegermütter sprechen oft aus eigener Erfahrung, die aber meist schon 20 Jahre zurückliegt…
Warum kann es Frau sich nicht bequem machen und dem Baby einfach eine Flasche mit einer Babynahrung (Formula) zubereiten? Dann ist sie nicht abhängig. Außerdem kann auch mal eine andere Person das Vergnügen teilen. Formulanahrung ist doch „ganz nah am Original“, wie es eine Firma in ihrer Werbung beschreibt. Dass dabei etwa 1000 Bestandteile am Original fehlen, findet weder im Kleingedruckten noch in Klammern Erwähnung.
Um diesem ganzen Dilemma die Spitze zu nehmen und international mitdiskutieren zu können, wurde 1994 die Nationale Stillkommission (NSK) gegründet. Sie „erfolgte mit dem Ziel, das Stillen und die Entwicklung einer neuen Stillkultur in Deutschland zu fördern und dazu beizutragen, dass Stillen zur normalen Ernährung für Säuglinge wird. Dieses soll durch Beratung der Bundesregierung, Herausgabe von Richtlinien und Empfehlungen und Unterstützung von Initiativen zur Beseitigung von Stillhindernissen erreicht – und der Erfolg der Arbeit durch Datenerhebungen und Berichte dokumentiert werden.“
2016 wurde anlässlich des 20jährigen Bestehens der NSK eine Studie veröffentlicht, die eine Übersicht über die Stillkultur unseres Landes vermittelt. Das Ergebnis ist recht ernüchternd:
„Trotz hoher Stillraten zu Beginn (72–97%) ist nach wie vor in den ersten 2 Monaten der stärkste Abfall der (Voll-)Stillraten zu verzeichnen, so dass bis zum Alter von 6 Monaten nur noch etwa 50% der Säuglinge überhaupt gestillt werden.“
Offenbar ist ein guter Start noch keine Garantie für die Zukunft.
Der erste große Ausflug: Besuch beim Kinderarzt zur U3
Das ist die dritte Untersuchung des Babys nach der Geburt. Sie findet üblicherweise nach vier Wochen statt. Der Arzt erhält hier wichtige Anhaltspunkte über die gesunde Entwicklung des Säuglings. Er stellt Größe und Gewicht des Babys fest und trägt es in das gelbe Kinderuntersuchungsheft ein. Dort gibt es ein sogenanntes Somatogramm. Darin werden Größe und Gewichtszunahme in einem Koordinatensystem erfasst und als Perzentilen dargestellt. Die eingetragenen Werte – übrigens für Jungen und Mädchen unterschiedlich – vergleicht der Arzt mit den eingedruckten Normwerten. Es gibt Abweichungen nach oben und nach unten, aber eben einen weiten Streubereich zwischen 3 und 97%. Alle Werte innerhalb dieses Streubereiches gelten als normal. Natürlich ist ein Gewicht bei etwa 50% des Normalwertes unbedenklicher als bei 96%.
Das Damoklesschwert – die Babywaage beim Kinderarzt
Da Deutschland wie des Öfteren einen Sonderweg geht, steht im Kinderunter-suchungsheft nicht das WHO-Somatogramm, das für den Rest der Welt für alle gestillten Kinder gültig ist, sondern unser selbst kreiertes. Das zeigt aber Werte von Babys auf, die Formulanahrung erhalten. Es ist also für gestillte Kinder nicht korrekt anzuwenden. Leider ist Kinderärzten dieser Unterschied nicht immer gegenwärtig. So kommt, was kommen muss: Die Mutter erhält Hinweise, dass sie entweder die Stillmahlzeiten ihres Kindes vermindern (weil es zu viel zugenommen hat) oder dass sie Formulanahrung zufüttern soll (weil es zu wenig zugenommen hat). Das schafft Verunsicherung und ist in manchen Fällen der erste Schritt zum Abstillen.
Faustregel – Gewichtszunahme
Sollte eine stillende Mutter doch verunsichert sein, ob ihr Baby auch genug zunimmt, gibt es eine sehr einfache Prüfmöglichkeit, auch ohne Waage aus der Apotheke:
Wenn ein Baby innerhalb von 24 Stunden sechs nasse Windeln (nicht nur angefeuchtete!) produziert, ist alles in Ordnung. Es gilt der Spruch: Was oben hinein gefüllt wird, muss unten wieder herauskommen. Diese Aussage ist nicht nur ein deftiger Spruch, sondern durch Forschungen über das sogenannte Windelgewicht wissenschaftlich untermauert.
Spannenlanger Hansl, nudeldicke Dirn
In den ersten Lebensmonaten nehmen Stillkinder gewöhnlich schneller zu, was bei Kinderärzten oft zu Irritationen führt. Die Gewichtskurve gleicht sich über einen Zeitraum von zwei Jahren aus. Die Mehrzahl der gestillten Kinder ist schlanker als Säuglinge, die mit Formula ernährt werden. Natürlich spielen auch andere Faktoren bei der Entwicklung der Gewichtszunahme des Säuglings eine Rolle, wie z.B.
• Geschlecht
• Stillerfahrung der Mutter
• Krankheiten
• Veranlagungen
• Ernährungsgewohnheiten
• Temperament
• Stoffwechsel
• Hormone.
Außerdem wechseln sich in einer Normalentwicklung Perioden des Dickenwachstums mit denen des Längenwachstums ab. Individualität lässt sich also nicht mit einer Normtabelle festhalten. So wie es auf der ganzen Welt keinen Menschen wie Sie und mich noch einmal gibt, so gleicht auch ein Baby nicht dem anderen, auch wenn es genauso alt ist. Wir alle sind und bleiben Originale, ebenso wie unsere Babys. Ist das nicht beruhigend?
Quellen:
https://www.thieme.de/de/hebammenarbeit/stillhaeufigkeit-und-stilldauer-in-deutschland-103371.htm
WHO Wachstumskurven für gestillte Kinder (Jungen und Mädchen)
Aufzeichnungen zur IBCLC Ausbildung (Still- und Laktationsberaterin)