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Wie entsteht eigentlich eine Gelbsucht beim Neugeborenen? Gegen Ende der Schwangerschaft bildet das ungeborene Baby vermehrt rote Blutkörperchen. Wie allgemein bekannt, werden sie für den Sauerstofftransport im Blut benötigt. Dazu befindet sich in ihrem Inneren ein roter Blutfarbstoff, das sogenannte Hämoglobin. Es hat eine niedrigere Kapazität, Sauerstoff zu binden als beim Erwachsenen. Damit es nicht zu Sauerstoffmangelzuständen kommt, werden einfach größere Mengen an roten Blutkörperchen gebildet. Nach der Geburt zerfallen die nicht mehr benötigten roten Blutkörperchen des Babys.
Bestandteile des Hämoglobins verwandeln sich in freies Bilirubin. Es bindet sich mit Eiweißen zum fettlöslichen indirekten Bilirubin. Weil aber Fett wegen der Verstopfungsgefahr nicht in unseren Blutgefäßen transportiert werden kann, wird es in der Leber zu wasserlöslichem, direktem Bilirubin umgewandelt. Das wird über den Darm ausgeschieden. Es färbt den Stuhl dunkelgrün bis schwarz und wird als Kindspech (Mekonium) bezeichnet. Soweit handelt es sich um Normalvorgänge, die bei jedem Neugeborenen ablaufen.
Indirektes und direktes Bilirubin fasst man als Gesamtbilirubin zusammen.
Die Leber eines Neugeborenen ist noch recht unreif. Es kann vorkommen, dass sie nicht alles Bilirubin verstoffwechseln kann. Dann steigt der Wert des indirekten Bilirubins an. Weil es fettlöslich ist, lagert es sich im Unterhautfettgewebe ab und führt zu einer Gelbfärbung der Haut und der Schleimhäute. Sie bezeichnet man mit dem Fachausdruck als Ikterus.
Den gesamten Ablauf zur Entwicklung einer Gelbsucht finden Sie im untenstehenden Schema:
Ah, ein Möhrenkind! oder: Wie entdeckt man eine Gelbsucht?
„Sicher hat die Mutter in der Schwangerschaft viele Möhren gegessen.“ So eine Aussage hört man dann und wann, wenn ein Neugeborenes leicht „gebräunt“ aussieht. Es ist aber eher als dunkles Gelb anzusehen, was bereits auf das Hauptsymptom verweist und sich vom Kopfbereich über den gesamten Körper ausbreitet.
Gelbsucht ist damit also die Gelbfärbung der Haut und Schleimhäute, beginnend mit
- Gelbfärbung des Weißen der Augäpfel
- Gelbe Stirn
- Gelber Körper
- Gelbe Beine
- Teilnahmslosigkeit
- Schläfrigkeit
- Muskelschlaffheit
- Verminderte Ausscheidung
Merke: Die zuletzt genannten Symptome sind Zeichen für eine negative Entwicklung, die in kinderärztliche Hände gehört! Spätestens hier wird Sie Ihre Hebammen überweisen.
Gelbsucht ist nicht gleich Gelbsucht
Auch wenn Sie kein Kinderarzt sind, sollten Sie doch wissen, wann Sie ihn zu Rate ziehen müssen. Er unterscheidet verschiedene Arten von Gelbsucht beim Neugeborenen:
- „Normale“ Gelbsucht (Physiologischer Ikterus)
- tritt nach der Geburt auf bei etwa 70% aller Neugeborenen
- erreicht Höhepunkt zwischen 3. und 6. Lebenstag
- erfordert keine weitere Behandlung außer Tageslicht
- frühzeitiges und häufiges Stillen (10 bis 12-mal/24 Std.)
- keine Zufuhr von reiner Flüssigkeit! (Tee, Glukose, Infusionen)
- rückläufig nach 7. Lebenstag
- Krankhafte Gelbsucht
Arten | Verfrühte Gelbsucht | Verstärkte Gelbsucht | Verlängerte Gelbsucht |
Fachbegriff | Ikterus praecox | Ikterus gravis | Ikterus prolongatus |
Merkmal | 24-46 Std. nach Geburt | oft gemeinsam mit verfrühter Geburt | länger als 10 Tage klinisch sichtbar |
Behandlung | · Verlegung in Kinderklinik
· Fototherapie · Blutaustausch-transfusion
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· Verlegung in Kinderklinik
· Fototherapie · Blutaustausch-transfusion
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· Verlegung in Kinderklinik
· Fototherapie · Blutaustausch-transfusion
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Quelle: Stiefel et al. Hebammenkunde, 5. Aufl., S. 690.
Das folgende Diagramm stellt die Verlaufsformen von Gelbsucht bei Neugeborenen noch einmal grafisch dar.
Was macht eine Gelbsucht so gefährlich?
Wenn die Bilirubinkonzentration einen bestimmten Wert übersteigt, überwindet sie die Blut-Hirn-Schranke des Neugeborenen und kann Nervenzellen schädigen. Der „bestimmte Wert“ ist individuell für das Baby und hängt ab von
- Alter
- Reifegrad
- Gewicht
- Zentralnervöse Störungen, irreparable Seh- und Hörstörungen können auftreten und damit zu lebenslangen Behinderungen führen.
Muss man das verstehen? – Werte erklärt
Vielleicht haben Sie sich schon gewundert wegen der vielen vorher erwähnten Fachbegriffe zum Bilirubin. Das sind aber die Werte, mit deren Hilfe Ihnen der Arzt sein Vorgehen erklärt.
Merke: Die normale Bilirubinkonzentration im Blut eines gesunden, reifen Neugeborenen steigt langsam an und übersteigt zwischen dem 3. und 6. Lebenstag das Maximum von 12 mg/dl nicht. Dabei handelt es sich überwiegend um indirektes Bilirubin (direktes Bilirubin < 1 mg/dl). Schnell und ungewöhnlich stark steigende Werte über dem Normalwert sind bei frühzeitig einsetzender Therapie heute gut steuerbar.
Für die Veränderung der Bilirubinkonzentration im Blut sind verschiedene Faktoren verantwortlich, u.a.
- Erbkrankheiten (zum Beispiel Gerinnungsstörungen)
- Diabetes der Mutter
- Vaginal –operative Geburten[1]
- Ethnie der Mutter (zum Beispiel Griechen, Chinesen, Afrikaner)
- Grunderkrankungen des Neugeborenen (zum Beispiel Trinkschwäche, Schilddrüsenunterfunktion, Temperaturinstabilität)
- Reife des Neugeborenen (zum Beispiel Frühgeburtlichkeit)
- Geschlecht (zum Beispiel männlich)
Wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer krankhaften Gelbsucht für ein Neugeborenes ist, kann man statistisch nicht festlegen. Das hängt von den oben erwähnten Faktoren ab. Allgemein kann man aber sagen, dass zum Beispiel Frauen mit Diabetes, die per Frühgeburt einen Jungen zur Welt bringen, häufiger als andere Eltern damit rechnen müssen, dass ihr Kind Gelbsucht hat. Auch wenn Geschwisterkinder schon einmal eine Fototherapie erhalten haben, ist mit einem höheren Risiko zu rechnen.
Zur Einschätzung der Werte gelangen Arzt oder Hebamme durch
- Körperlichen Untersuchung durch Ansehen
- Bilirubinbestimmung durch die Haut (aussagekräftiger als durch Ansehen!)
- Blutige Messung des Gesamtbilirubins (direktes und indirektes)
Diese Tabelle zeigt Ihnen die Bilirubinwerte in mg/dl, bei denen immer Behandlungen bei sonst gesunden, reifen Neugeborenen ohne Risikofaktoren erfolgen müssen:
Lebensalter (Std.) | ab 24 | ab 48 | ab 72 |
Fototherapie erwägen, Verlegung in Kinderklinik | 12 | 15 | 17 |
bei Gelbsucht, Fototherapie | 15 | 18 | 20 |
Fototherapie, falls erfolglos Austausch | 20 | 25 | 25 |
Austausch und intensive
Fototherapie |
25 | 30 | 30 |
Quelle: Illing, S. Kinderheilkunde für Hebammen, 3. Aufl., Hippokrates 2003, S.207
Merke: Ein Baby welches weniger als 24 Stunden alt ist, wird vorerst nur durch Ansehen untersucht. Wird dabei eine extreme Gelbfärbung wahrgenommen, kommt es zu weiteren Untersuchungen.
Die Fototherapie bewirkt durch blaues Licht, dass indirektes in direktes Bilirubin umgewandelt wird. Tageslicht (Lichtstärke schlechter messbar) hat durch denselben blauen Anteil ähnliche Wirkung.
Blutaustauschtransfusionen werden heute nur noch sehr selten durchgeführt. Sie kommen meist durch Rhesusfaktor (Rh)- oder Blutgruppenunverträglichkeiten zustande. Die allermeisten Schwangeren nutzen die guten Vorsorgemöglichkeiten, zu denen auch die Feststellung der Blutgruppe und des Rh-Faktors gehört. Stellt man dort eine Unverträglichkeit fest, wird es im Mutterpass vermerkt. Sofort nach der Schwangerschaft bzw. Geburt des ersten Kindes wird mit einer Vorbeugung begonnen. Damit wird eine krankhafte Gelbsucht des Neugeborenen verhindert.
Merke: Wenn Sie sich als Mutter Gedanken machen um ihr „gelbes“ Baby, ist es stets besser, Sie suchen den Kinderarzt rechtzeitig auf!
Quellen:
Stiefel et al. Hebammenkunde, 5.Aufl. , Hippokrates 2013
Illing, S. Kinderheilkunde für Hebammen, 3. Aufl. , Hippokrates 2003
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/024-007l_S2k_Hyperbilirubinaemie_Neugeborenen_Diagnostik_Therapie_2015-08.pdf
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/024-005l_S2k_Betreuung_von_gesunden_reifen_Neugeborenen_2012-10-abgelaufen.pdf
[1] Geburten, die als Kaiserschnitt, Saugglocken- oder Zangengeburt enden