In diesem Artikel
Denn genau dasselbe habe ich mir gedacht, als ich in der Schule von den sogenannten „Dumpster Divern“ hörte: Diese Leute gehen nach Ladenschluss zum Supermarkt, durchsuchen den „Abfall“, nehmen Lebensmittel mit und bereiten daraus ihr Essen zu. Heute bin ich froh, eine von ihnen zu sein und erzähle euch in diesem Beitrag alles, was ihr übers Containern wissen müsst.
Mein Weg zum Containern
Als ich erstmals vom Containern hörte, konnte ich nicht glauben, dass es so etwas wirklich gibt: “Es mag ja sein, dass Supermärkte vieles wegwerfen. Aber doch nicht bei uns…“ Dann arbeitete ich in den Ferien in einem Supermarkt und sah erstmals, wie viele Lebensmittel dort wirklich im Müll landen. Doch erst zwei Jahre später überflog ich ein Magazin, das ein Interview mit einem Dumpster Diver enthielt. Er sagte, in Vorarlberg gebe es keine „Containeringszene“. Bei den Abfallmengen, die unzweifelhaft auch in unseren Geschäften anfielen, wunderte mich das. Und dann machte ich auf dem Heimweg einfach mal Halt beim nächstbesten Supermarkt und fand dort jede Menge Spargeln, Lauchzwiebeln und Zitronen. Seither bin ich begeisterter Containerer und gehe jede Woche öfters „Lebensmittel retten“, wie wir gerne sagen.
Wie läuft ein Containerabend ab?
Containern macht Spaß, ist einfacher als gedacht und schneller erledigt als jeder Einkauf. Ein bis zwei Stunden nach der offiziellen Schließung sind die Angestellten in der Regel weg vom Supermarkt: Genau die richtige Zeit, um Containern zu gehen. Doch auch später in der Nacht kannst du noch ohne weiteres hingehen. Ich fahre meist mit dem Fahrrad zum Supermarktparkplatz und halte direkt vor den Abfalltonnen. Eine Taschenlampe, ein paar alte Taschen (oder ein Fahrradkorb) und ggf. Gärtnerhandschuhe helfen beim Sammeln und Verstauen der Lebensmittel.
Bei meinen Stammfilialen findet sich das Obst & Gemüse in der Biomülltonne, Brot und andere Lebensmittel hingegen verpackt im Restmüll. Das ist leider komplett falsche Mülltrennung, aber für Containerer hat sie sogar Vorteile. Verpackte Sachen packe ich vor Ort aus, um besser zu sehen, in welchem Zustand sie sind und damit ich den unnötigen Plastik- bzw. Papiermüll nicht mit nach Hause nehmen muss. Auf diesen Schritt kann man natürlich verzichten und die Lebensmittel erst zu Hause auspacken.

Zu Hause angekommen, wasche ich zuerst das Obst und Gemüse gründlich, lasse es trocknen und lagere es dann richtig im Keller, auf einer Schale oder im Kühlschrank. Beim Waschen kontrolliere ich, ob das Obst und Gemüse noch essbar ist und kann verdorbene Früchte gleich kompostieren. Brot lege ich in den Brottopf, wo es saftig bleibt.
In den folgenden Tagen verwende ich die geretteten Lebensmittel dann kreativ für verschiedene Rezepte und gehe wieder zum Container, sobald ich nicht mehr genug habe.
Die Tiefkühltruhe hilft mir, größere Mengen haltbar zu machen: Wenn ich gerade besonders viel von einer Sorte Gemüse finde, mache ich oft Tiefkühlgemüsemischungen wie z.B. Ratatouille, Paprikapfanne, Wokgemüse etc. daraus. Auch Bananen – die zu den am häufigsten weggeworfenen Lebensmitteln zählen[1] – friere ich gerne geschält in einer Box ein, um sie später als Eiersatz, für Bananenbrot, Smoothies oder Pfannkuchen zu verwenden.
Tipp: Natürlich kannst du auch Chutneys, Marmeladen, Dörrobst, Kompott, fermentiertes Gemüse etc. aus den geretteten Lebensmitteln zubereiten!
Was finde ich?
Bei meinen Stammfilialen finde ich in der Biotonne stets jede Menge Obst und Gemüse. Meist gibt es im Restmüll ebenso Brot, Kuchen und Backware. Auch andere Gerichte wie Hummus, Brotaufstriche, Schinken oder Käse waren schon dabei.
Das Obst und Gemüse unterscheidet sich je nach Saison sehr stark. In den Sommermonaten finde ich extrem viel Paprika, Auberginen, Tomaten und Kartoffeln; im Winter sind es öfters Zwiebeln, Radieschen, Kohlrabi und Karotten. Doch auch Exoten wie Bananen, Papayas, Limetten und Mangos kann ich ganzjährig sehr oft vor der Entsorgung retten.
Die Brotvielfalt ist schier unübersehbar und von Vollkornbrot bis hin zu frischen Croissants und Baguette habe ich schon alles Mögliche mitgenommen. Eigentlich könnte ich mir auch noch viel mehr Kuchen, Torten und Gebäck holen, doch für meinen Geschmack sind sie oft zu süß oder fettig. Doch mein Bruder freut sich, wenn ich mal wieder ein paar Donuts mitbringe: Im Container ist also für jeden was dabei und es gibt nicht nur gesunde Lebensmittel!

Viele Containerer holen auch Milchprodukte wie Joghurts, Käse, abgelaufene Müslis, Risottomischungen, Tomatensugos, Schokolade, Pralinen und vieles mehr aus dem Container. Vermutlich spenden meine Stammfilialen diese Produkte an Organisationen wie die Tafel bzw. Tischlein deck dich, denn ich habe oben genannte Nahrungsmittel noch nie im Container gefunden.
Gesundheitliche Aspekte
Die meisten verpackte Lebensmittel aus dem Container haben das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten bzw. laufen am selben Abend ab. Das bedeutet keineswegs, dass sie jetzt ungenießbar sind! Anstatt auf ein Datum zu achten, benutze ich daher meine Sinne. Wenn ich z.B. eine Schale Hummus öffne, rieche und probiere ich zuerst vorsichtig. Was verdorben schmeckt, landet auf dem Kompost. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass die meisten Lebensmittel noch weit über das MHD hinaus haltbar sind. Mir ist noch nie von Lebensmitteln schlecht geworden, die ich beim Containern gefunden habe. Wichtig ist es einfach, die eigenen Sinne klug einzusetzen, Obst und Gemüse gründlich zu waschen und richtig zu lagern[2].
Tipp: Bestimmte Lebensmittel lasse ich allerdings im Container liegen: Dazu zählen Pilze, die schnell zu Lebensmittelvergiftungen führen können. Auch abgepackten Salat, aufgeblähte Sandwichpackungen und halbfertige Fleischprodukte wie panierte Hühnerschnitzel nehme ich wegen erhöhter Keimgefahr nicht mit.
Ist Containern legal? Die gesetzliche Lage in Deutschland, Österreich und der Schweiz[3]
Prinzipiell kommt es aufs Setting an: Wer sich unbefugt Zugang zu einem Gebäude verschafft, muss in jedem Land damit rechnen, dass er wie bei jedem anderen Einbruch auch dafür strafrechtlich belangt werden kann!
Aus diesem Grund kann ich nur empfehlen, Ausschau nach Filialen zu halten, deren Mülltonnen frei zugänglich sind. Besonders in ländlichen Gegenden gibt es das glücklicherweise noch häufig. Das macht das Containern entspannter und daneben muss ich in Österreich keine Konsequenzen fürchten, wenn ich „erwischt“ werde – was bislang noch nie vorkam.
Generell wird in Deutschland Containern eher als Straftat gesehen als in Österreich bzw. der Schweiz:
- Deutschland: Hier wird Containern leider als Straftat betrachtet. Denn „Müll[4]“ ist nach dieser Rechtsprechung immer noch das Eigentum des Supermarktes, das du ihm nicht „entwenden“ darfst. Was sich in der Theorie ziemlich unsinnig anhört, hat in der Praxis schon für einige Rechtsverfahren gesorgt. Allerdings werden die meisten wieder eingestellt bzw. verlaufen im Sand.
- Österreich & Schweiz: In Österreich gilt „Müll“ als herrenlose Sache und darf daher mitgenommen werden. Solange du nirgendwo einbrichst und keinen Vandalismus betreibst, spricht rein gesetzlich in beiden Ländern nichts dagegen, sich am „Müll“ des Supermarktes zu bedienen.
Tipp: In vielen Ländern gibt es für Großstädte mittlerweile „Dumpster-Diving-Gruppen“ (u.a. auf Facebook zu finden), die dich bei deinem Einstieg ins Containern unterstützen können, ihre Erfahrungen teilen sowie eventuell genauere Hinweise zur Strenge der örtlichen Behörden geben.
Was bedeutet Containern für mich?
Containern ist für mich immer noch ein unglaubliches Erlebnis. Noch nie wurde mir so drastisch vor Augen geführt, wie viele Lebensmittel eigentlich weggeworfen werden und wie nahe vor meiner eigenen Haustür das tagtäglich passiert. Das hat mein Bewusstsein für die Problematik „Lebensmittelverschwendung“ geschärft. Seither achte ich auch privat viel mehr auf die richtige Lagerung und portionsgerechte Zubereitung von Lebensmitteln, um im eigenen Haushalt keine Lebensmittel mehr wegwerfen zu müssen. Wenn ich einkaufe, bevorzuge ich Biomärkte und Unverpacktläden. Denn dort kann ich immer genau so viel kaufen, wie ich brauche und unterstütze mit meinem Geld biologischen Anbau & nachhaltige Strukturen.

Spargel aus Peru, Bananen aus Suriname, Papayas aus Brasilien: Ich habe schon sehr viele exotische Lebensmittel im Container gefunden. Bedenke den Transportweg, den diese Obst- und Gemüsesorten zurücklegen – nur um hier in einer Mülltonne zu enden. Doch auch am Bio-Kartoffelbrot oder an der Sechserpackung Donuts mit Schokoguss haben viele Menschen gearbeitet. Angesichts der vielen hungernden Menschen in dieser Welt und diverser Umweltprobleme ist es nicht vertretbar, so viel Arbeit und Ressourcen einfach zu verschwenden.
Noch viel unglaublicher wird es, wenn man bedenkt, dass Supermärkte nur 5% des EU-weiten Aufkommens an Food Waste zu verantworten haben[5]! Das zeigt, dass sich die gesamte Wertschöpfungskette ändern muss: Landwirte, Supermärkte, Restaurants, Großverbraucher und auch jede/r Konsument/in selbst. Eine angepasste Gesetzgebung (bzgl. Lebensmittelnormen vor allem bei Obst und Gemüse!), richtige Lagerung, bewusster Einkauf, effiziente Planung und eine neue Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln sind wichtige Bausteine, damit wir zu einer Zero Food Waste Gesellschaft werden können.
Containern = gelebte Nachhaltigkeit
Somit ist Containern keine Einkaufsmöglichkeit für Leute, die einfach nur Geld sparen möchten[6]. Es ist ein Statement gegen eine verschwenderische, aufgeblähte Konsumgesellschaft. Jede/r, egal ob arm oder reich, kann containern gehen und damit aktiv für einen ethischen, effizienten Umgang mit Lebensmitteln einstehen. Containern spart CO2-Emissionen, Ressourcen und Geld und gibt dir Wissen, neue Inspiration und Stoff zum Nachdenken.
22 Uhr 11. Es ist etwas spät geworden. Aber der Container schließt ja nicht. Worauf wartest du noch? Schnapp dir eine Taschenlampe, setz dich aufs Fahrrad und probiere es aus. Es lohnt sich, versprochen!
[1] Mehr dazu findest du in meiner dreiteiligen Artikelserie zum Thema Bananen: https://wastesend.com/2017/10/29/0-kgmin-teil-iii-bananen/
[2] https://gesund.co.at/aufbewahrung-obst-gemuese-12599/
[3] Hinweis: Dies ist keine rechtsverbindliche Auskunft. Der folgende Absatz soll lediglich eine grobe Orientierung über die Rechtslage geben, da hier noch viel Unsicherheit herrscht.
[4] Ich setze Müll hier in Anführungszeichen, weil wir ja nicht von wertlosem Abfall, sondern von essbaren, gut erhaltenen Lebensmitteln sprechen!
[5] https://www.wien.gv.at/umweltschutz/abfall/lebensmittel/fakten.html
[6] Auch in unseren Ländern gibt es leider noch bedürftige Menschen, die aus echter Not heraus containern müssen. Doch die Mehrheit der Containerer hätte genug Geld, sich Lebensmittel zu kaufen und holt sich aus Überzeugung die Lebensmittel aus der Tonne.
* Veröffentlichte Gastbeiträge geben in erster Linie die Ansichten des/der Verfassers/in wieder und müssen nicht zwangsläufig der Meinung von Wiado entsprechen.
Zur Autorin:
Kristina ist 20 Jahre alt, Studentin und hat vor zwei Jahren begonnen, abfallfrei zu leben. Seit etwas über einem Jahr bloggt sie unter www.wastesend.com und bei Instagram (https://www.instagram.com/wastesend/) über Zero Waste, Food Waste, Containern und Konsum im Allgemeinen. Sie ist überzeugt, dass wir alle mit unserem Geld und der damit verbundenen ökonomischen Wahl großes Potential haben, unsere Welt zu verändern.