Beim Stillen zu schreien ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Von der Funktion des kindlichen Kehlkopfes her ist nämlich nur entweder Stillen oder Schreien möglich.
Speisen und Flüssigkeiten gelangen im Rachenraum über den geschlossenen Kehldeckel in die Speiseröhre. Auch beim Stillen dient er als Schutz vor dem Eindringen in die Luftröhre und damit vor dem Ersticken. Sie kennen die normale Abwehrreaktion Ihres Körpers, wenn etwas in die „falsche Röhre“ gelangt ist: Sie würgen und husten, bis der Atemweg wieder frei ist.
Beim Schreien dagegen ist der Kehldeckel geöffnet, weil ja Luft aus der Lunge zwischen den Stimmlippen im Kehlkopf hindurch streichen muss, um sie in Schwingung zu versetzen und den Ton hervorzubringen.
Damit wird auch klar, dass die mancherorts verbreitete Meinung, ein Baby könne gleichzeitig schlucken und atmen, Unsinn ist. Es geht nur nacheinander!
Baby schreit beim Stillen – warum?
Wir machen uns an die Ursachensuche und stellen fest, dass es mehr als eine gibt, wie diese Übersicht verdeutlicht:
1. Anlegefehler
Wenn das Baby nur die Brustwarze im Mund hat und kräftig daran zieht, wird es im Höchstfalle Schmerzen in der mütterlichen Brust verursachen, aber keine oder nur sehr wenig Milch erhalten. Das macht beide unzufrieden:
Die Mutter verspannt sich und zieht unwillkürlich die schmerzende Brust zurück, worauf das Baby mit rigorosen Saugbewegungen antwortet. Inzwischen hat aber der Schmerz seine Signale ans Gehirn gesandt und das Stresshormon Adrenalin frei gesetzt.
- dadurch wird Milchspendereflex blockiert
- Oxytocin (für Milchspendereflex verantwortlich) wird nicht mehr ausgeschüttet
- Milchfluss stoppt
- Ergebnis: ein protestierendes Baby.
Auf der Brustwarze münden 8-12 Milchgänge. Sie enthalten nur Milch, wenn sie durchfließt, d.h. eine kleine Menge. Wenn dann kein Nachschub aus den Milchdrüsen ankommt, führt das zum gleichen Ergebnis wie bereits beschrieben.
Merke: Achten Sie darauf, dass Ihr Baby seinen Mund weit öffnet und sofort an die Brust gezogen wird. Der Mund liegt dabei gegenüber der Brustwarze.
Das Sie zeigen ihm direkt, wenn es Sie anschaut! Im Neugeborenenalter kann es nicht nicht gleichzeitig den Mund weit öffnen und „andocken“. Dafür braucht das Baby Ihre Hilfe. Viele Mütter sind aber so begeistert von dem weit offenen Mund Ihres Babys, dass sie vergessen, es an die Brust zu holen.
Eine unbequeme Position für das Baby ist ebenfalls ein Grund, sich bemerkbar zu machen. Später toleriert es auch scheinbar „unmögliche“ Positionen besser. Anfangs spielen verschiedene Stillpositionen aber eine wichtige Rolle.
Merke: Korrektes Anlegen verhindert wunde Brustwarzen! Achten Sie darauf, dass Ihr Baby neben der ganzen Brustwarze auch möglichst viel Brustgewebe mit dem Mund umfasst.
Aua, aua
Manchmal sitzt auch nur ein Pups quer, der dem Baby Bauchschmerzen verursacht. Wenn das Baby trinkt und Milch in den Magen gelangt, wird ein Reflex ausgelöst, der die Entleerung des Darms bewirkt. Plötzlich strengt sich Baby sehr an, bekommt einen roten Kopf, lässt die Brust los und schreit. Der “Ruf mit Donnerhall“ in der Windel ist häufig zu hören oder zu riechen. Das bedeutet Entlastung.
Auch Schmerzen an der Kauleiste, wenn die Zähnchen kurz vor dem Durchbruch stehen, können Ursache für Schreien an der Brust sein. Die Kauleiste ist dann sehr berührungsempfindlich bei allem, was in den Mund kommt, sogar bei dem weichen Brustgewebe.
Hier sind verschiedene Zahnungsgele hilfreich.
2. Milchmenge
Produziert die Mutter zu wenig Milch, sind verschiedene Faktoren dafür verantwortlich:
- sofortige Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt
- zu seltenes Anlegen innerhalb der ersten 24 Stunden
- physischer Stress (Überlastung durch z.B. ältere Geschwister, Haus putzen)
- emotionaler Stress (Streit, Besuch, Perfektionismus)
- Frühgeburt
- Krankheit
- Arzneimittel (z.B. Antibiotika)
- selten: zu wenig Brustdrüsengewebe
Merke: Nehmen Sie die Hilfe von Stillexperten in Anspruch, ehe Sie tagelang Versuche starten und am Ende entmutigt aufgeben! Suchen Sie im Internet nach IBCLC[1], Hebammen mit Zusatzausbildung im Stillen, Stillgruppen usw.
Manche Probleme können Sie selbst ohne große Schwierigkeiten beseitigen, wenn Sie erst einmal wissen, welche Faktoren Ihnen Schwierigkeiten bereiten.
Zu viel Milch ist ein Problem, das in der Regel nicht vor dem 10. Tag nach der Geburt eintritt. Sie bemerken, dass Ihr Baby scheinbar gierig schluckt, sich dann verschluckt und zu weinen beginnt. Es kann die große Milchmenge, die aus der Brust strömt einfach nicht mehr steuern.
Die Hilfe ist einfacher als vermutet:
- Legen Sie sich mit leicht erhöhtem Oberkörper, so dass Sie Ihr Baby gut beobachten können, auf den Rücken. Baby liegt bäuchlings auf der Mama und muss nun gegen die Schwerkraft „arbeiten“. Zum Arbeiten ist natürlich kein Baby auf die Welt gekommen und protestiert folgerichtig erst einmal. Hat es dann aber mitbekommen, dass es der Anstrengung wert ist, gewöhnt es sich schnell an die neue Position und steuert das Trinken sehr viel besser. So hat es auch weniger Blähungen. Nach dem der erste Hunger gestillt ist, kann die Mutter auch die gewohnten Stillpositionen wieder anwenden.
- Entleeren Sie anfänglich Milch per Hand aus der Brust, so dass der Druck abnimmt. Sie stillen dann wie gewohnt.
3. Umfeld
Es spielt oft eine größere Rolle als man vermuten könnte. Ungewohnte Gerüche oder Geräusche können sich auswirken. Vielleicht haben Sie schon beobachtet, dass Baby nicht an die Brust will, wenn
- Sie gerade geduscht oder
- Ihr Lieblingsparfüm aufgelegt haben.
Das riecht eben nicht nach Mama. Baby hat aber Hunger… Protest!
Geräusche beeinflussen Ihr Baby innerhalb der ersten vier Lebenswochen noch nicht so stark, weil in den Gehörgängen häufig kleine Fruchtwasserreste vorhanden sind, die die Hörfähigkeit einschränken. Später, wenn z.B. ständig das Fernsehgerät im Einsatz ist, nimmt die Ablenkung durch Geräusche und Bilder an Bedeutung zu. Experten raten, dass Säuglinge und Kleinkinder vor dem 3. Lebensjahr überhaupt keine Fernsehgeräte kennen sollten. Die Entwicklung der Sinneswahrnehmungen verläuft damit deutlich ungestörter – die der Stillbeziehung auch!
Quellen:
Aufzeichnungen zur IBCLC Ausbildung (Still- und Laktationsberaterin)
Spitzer, M. Digitale Demenz, Droemer 2012
[1] IBCLC International Board of Certified Lactational Consultants: international geprüfte Stillberater